Die ab 1935 von Märklin produzierten Tischbahnen der Spurweite 00/H0 wurden von Anfang an als technisch hochwertiges Spielzeug ausgelegt und mit eletrischen Motoren versehen. 1953 erschien die erste (und aus heutiger Sicht betrachtet auch einzige) Uhrwerklok vom Märklin in der Spurweit H0. In der Zeit der 800er Maschinen erschienen stellte diese Lok jedoch mit der etwas ungewöhnlichen Artikelnummer S870 eine Ausnahme dar.
Neben dem Einzelverkauf (im roten Rautenkarton mit der Artikelnummer S870) lag den beiden Zugpackungen S873/1 (Personenzug) und S873/2 (Güterzug) ebenfalls diese exotische Lok bei. Exotisch war dabei nicht nur die Antriebstechnik mit dem Uhrwerkmotor in der Lok. Auch das stromlinienförmige Gehäuse war aussergewöhnlich und sonst nur bei der SK800 zu finden. Ein tatsächliches Vorbild gab es zu dieser Lok nicht, auch wenn einige amerikanische Konstruktionen wie beispielsweise die „Commodore Vanderbilt“ eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.
Die Märklin Modellbauer und der Vertrieb waren Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts wohl der Meinung, daß ein preisgünstiger Einstieg in das Modellbahnhobby im Angebot fehlte. Es wurde auf Basis der Uhrwerkmotoren, welche in Spur 0 bereits vorhanden waren und nur verkleinert werden mussten, ein einfaches Fahrwerk entworfen und mit einem futuristischen Gehäuse versehen.
Die Lok selbst wurde in einem rot rautiertem Karton, wie damals üblich geliefert. Der Karton der beiden Zugpackungen war ebenfalls rot, allerdings abweichend von den damals üblichen Formaten sehr viel breiter und in der Höhe nur 16cm tief. Natürlich lag jeder dieser Loks ein passender Schlüssel zum aufziehen des Uhrwerks bei, leider ist dieser oft verloren gegangen und ist heute fast noch seltener wie die Lok. Während des Produktionszeitraumes, gab es zwei Varianten. 1953 wurde die Lok noch ohne Haftreifen, ab 1954 dann mit Haftreifen geliefert.
Im Deckel findet sich eine Bedienungsanleitung in den Sprachen deutsch, englisch und französisch. Eine Besonderheit stellen auch die mitgelieferten Gleise dar, bei diesen wurde der durchgehende Mittelleiter nicht eingebaut. Mitgeliefert wurde in den Zugpackungen jeweils ein kompletter Kreis, bestehend aus acht gebogenen Gleisen. Einen Artikel zu diesen Gleisen, mit allen Varianten und den zurüstbaren Mittelleitern, finden Sie hier.
Die Zugpackungen selbst enthielten aber noch weitere Raritäten. In der Personenzugpackung S873/1 fanden sich zwei Wagen auf Basis des zweiachsigen Personenwagens 327/1 (später 4000), jedoch waren diese nicht grün, sondern rotbraun lackiert. Einzeln waren diese Wagen unter der Nummer 327/2 ebenfalls von 1953 an erhältlich. Geliefert wurde die Wagen einzeln oder im Doppelkarton. Die Zugpackung S873/1 wurde im Katalog von 1953 für 11,75 DM angeboten.
Ursprünglich sollte die Zugpackung mit neu entwickelten Wagen, ebenfalls an amerikanischen Vorbildern orientiert, ausgeliefert werden. Die Prototypen in rot und grün dieser Wagen sind seit Oktober 2006 in der neu eröffneten Märklin Erlebniswelt ausgestellt.
Die Zugpackung S873/2 enthielt einen Güterzug mit dem weit verbreitetem zweiachsigem Flachwagen 305/1 (ab 1957 als 4503) in braun und einem Kippwagen 362 (ab 1957 als 4513), jedoch mit silbern lackierter Kippe. Dieser Wagen wurde nie einzeln verkauft und fand sich nur noch in der Zugpackung CM805/3. Produziert wurde dieser heute extrem seltene Wagen ausschliesslich im Jahre 1953, im Katalog von 1954 findet sich schon der weit verbreitete rote Kippwagen, die Zugpackungen wurden dann ebenfalls mit dem roten Kippwagen ausgestattet.
Die Geschichte dieser Lok und der speziellen rotbraunen Personenwagen der Zugpackungen endet bereits 1956, so das auch diese Stücke heute den Sammler von ausgefallenen und seltenen Stücken begeistern.
Dazu gleich drei Kommentare:
Leider wird der extrem seltene Kippwagen auch schon seit den späten 1970ern nachgemacht (gefälscht), denn die handwerklichen Anforderungen sind nicht gerade hoch. Originale Wagen sind aber aus schwarzem Kunststoff, silbern lackiert, so ist ein verschrammtes Exemplar immer glaubwürdiger als „mint“.
Der Schlüssel der Lok entspricht den Schlüsseln wie sie zum Metallbaukastenmotor 200F (1939) und zu den Autos der 5522-Serie (~1/43 mit Uhrwerk) geliefert wurden.
Zur S870 wurden auch passende, zweiachsige, „Streamliner“ aus Kunststoff entwickelt. Die wirklich häßlichen Wagen in rot und grün wurden 2003 in der „Mythos Märklin“ -Ausstellung in Tübingen erstmals öffentlich gezeigt und sind im gleichnamigen Austellungskatalog auf Seite 159 abgebildet. Die Entscheidung die Wagen nicht auf den Markt zu bringen muß erst recht kurz vor Serienstart gefallen sein, denn die „Prototypen“ sind kein Messingurmuster sondern aus einem Werkzeug gespritzte Teile.
Der 200 F erschien bereits 1938. Im Neuheitenblatt 1938 ist der Schlüssel anders als in den Katalogen sogar mit abgebildet. Der Motor 200 F blieb bis 1942 im Programm.
Der Schlüssel mit der Ersatzteilnummer „4516/000“ paßt zu den Artikeln 1081, 1088/00, 5251, 5252, 5261 und (wie wir gelernt haben) auch zu dem Motor 200 F.
Viele Händler greifen damals wie heute auf diesen häufigen Schlüssel zurück, wenn er bei einer S 870 fehlt. Ein guter Fälscher vernickelt den Vorkriegsschlüssel aber vorher, denn der ansonsten gleiche Nachkriegsschlüssel der S 870 sollte gerne vernickelt sein…
Bodo Schenck
Die S870 hatte die stromlinienverkleidete K4S der Pennsylvania Railroad, designt von Raymond Loewy, als Vorbild.
siehe
ich bin im Besitz einer solchen silbernen Kipplore, welche angeblich original sein soll. Nur ist der Kunsstoff unter dem silbernen Lack nicht schwarz, sondern ein mittleres Grün, keinesfalls aber rot. Kann mir einer der Experten weiterhelfen, ob seinerzeit von Märklin auch solche grünen Grundkippen gefertigt wurden. Das Untergestell paßt zum Baujahr.
Vielen Dank und viele Grüße
Stefan Burkhard
Als Kind hatte ich den silbernen Kippwagen mit rotem Kunststoff-Grundkörper. Ich gehe nicht davon aus, dass 1962 schon Nachbauten davon in Umlauf waren.
Wenn es da auch schwarze und blassgrüne Grundkörper gibt, hat hat M. anscheinend im Jahr 1953 auch Reste von Kunststoffgranulat, die von der Produktion anderer Teile übrig waren, zur Kippmulde verspritzt und die dann silbern lackiert. Die Grundfarbe ist ja egal, wenn der silberne Lack drüber kommt. Aber ich gehe davon aus, dass das eher selten ist. Das Wahrscheinlichste ist IMHO, dass die meisten der Grundkörper aus der normalen roten Produktion entnommen und überlackiert wurden.
Gruß
Josef